„Wir können die Stadt, die wir lieben, nicht mehr bauen.“ Hans Kollhoff

Warum entstehen heute keine so menschenfreundlichen Quartiere mehr wie in den Jahrhunderten vor der Moderne? Es gäbe Wege aus der Misere. Architekten müssten sie nur kennen.

Der Berliner Architekt Hans Kollhoff hat vor Jahren einen deprimierenden Satz formuliert: „Wir können die Stadt, die wir lieben, nicht mehr bauen.“

Damit wies er auf einen fundamentalen Gegensatz hin: wie populär die historischen Stadtquartiere sind, in denen die Menschen am liebsten leben und die sie im Urlaub durchstreifen – und wie wenig es uns heute gelingt, Ensembles von solcher Qualität zu schaffen.

Stattdessen entstehen landauf, landab schematische, kalte Neubauviertel, für die sich kaum jemand begeistern kann.

Warum aber bauen wir nichts gleichermaßen Attraktives mehr wie die Altbauquartiere in Berlin-Prenzlauer Berg, in Hamburg-Eppendorf, in München-Schwabing, in Kölns Belgischem Viertel und in vielen anderen deutschen Großstädten – seinerzeit allesamt Produkte von Bauspekulation, aber bis heute nicht nur schön und menschenfreundlich, sondern in ihrer Langlebigkeit und Dichte auch nachhaltig.

Das liegt einerseits daran, dass es inzwischen unzählige Bauvorschriften gibt, etwa zu Abstandsflächen, Nutzung oder Lärmschutz, die eine Annäherung an die in Jahrhunderten erprobten Muster unmöglich machen.

Der andere Grund ist, dass mit dem Beginn der Moderne nicht nur die Stadt an sich abgeschafft werden sollte, sondern auch das klassische Architekturvokabular. Bis heute lehnen es die meisten Baumeister ab, traditionelle Formen oder Ornament zu verwenden.

Deshalb entstehen trotz aller Moderne-Kritik, trotz der postmodernen Wende in den Achtzigerjahren, trotz Tausender Workshops und Bürgerbeteiligungen immer noch gnadenlos runtergerasterte, klinische Straßenzüge. Wie rund um den Berliner Hauptbahnhof und im nördlich angrenzenden Europaviertel, wie im neuen Europaviertel in Frankfurt am Main, wie im Europaviertel in Stuttgart oder der Bahnstadt von Heidelberg. An keinem dieser Orte will sich ein angenehmes Stadtgefühl einstellen.

So sei eben unsere Zeit, sagen die meisten Stadtplaner und Architekten mit einem Schulterzucken und ziehen sich nach Feierabend wieder in ihre Altbauwohnungen zurück. Eine Minderheit unter ihnen aber will sich nicht abfinden mit der Misere des gegenwärtigen Städtebaus.

Einer ihrer einflussreichsten Vordenker ist der Architekt Vittorio Magnago Lampugnani, der an seinem Lehrstuhl an der ETH Zürich zur Geschichte der europäischen Stadt forschte und dabei immer wieder die entscheidende Frage stellte: Was sind die Elemente, die historische Stadtviertel so erfolgreich machen?

Über viele Jahre hat er mit seinen Studenten gelungene Straßenzüge und Plätze von Portugal bis Finnland untersucht und diese Studien jüngst in einem zweibändigen „Atlas zum Städtebau“ zusammengefasst, der in Umfang, Systematik und visueller Kraft neue Maßstäbe setzt.

Die ältesten Ensembles stammen aus der frühen Neuzeit wie die Fuggerei in Augsburg, und der Gang durch die Jahrhunderte endet mit Beispielen aus den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts in Amsterdam und Wien.

Denn danach schaffte die Moderne die klassische Stadtbaukunst ab und leitete mit ihren aufgelockerten Siedlungen aus standardisierten Wohnzeilen oder Gebäudeklumpen die Epoche einer Freudlosigkeit ein, an der wir bis heute leiden.

Das meiste, was Lampugnani und sein Team so opulent präsentieren, lässt sich heute nicht eins zu eins wiederholen. Aber seine beiden Bände müssten für den Städtebau so etwas werden wie die Zehn Gebote: Man wird sie nie vollständig befolgen können, aber man sollte sich ihnen so weit wie möglich annähern.

Das bleibt schwierig, weil die Debatten von Stadtplanern und Architekten immer noch von der Vorstellung geprägt sind, dass die Vergangenheit kaum als Vorbild tauge und wir heute über radikal andere Siedlungsformen nachdenken sollten.

Leider sagen uns Kaltenbrunner und Jakubowski nicht, wie ihr Ideal einer neuen Stadt heute aussehen müsste. Sie wenden sich einerseits gegen „gesichtslose Neubauten“, andererseits aber auch dagegen, „die Innenstädte mit historisierenden Fassaden zu schmücken“.

Quelle: https://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article187187330/Moderne-Architektur-Menschenfeindlich-kalt-lieblos-die-Misere-der-deutschen-Stadt.html (veröffentlich am 16.1.2019 von Rainer Haubrich)

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